2020, fast 8 Jahre, nachdem ich zum ersten Mal von meinem ehemaligen Freund vergewaltigt wurde und 5 Jahre, nachdem ich das durch das Schreiben des offenen Briefes öffentlich gemacht habe, möchte ich zusammenfassen, was ich aus demAufarbeitungssprozess, den ich initiiert habe, mitgenommen habe.
Es ist wichtig, dass und wie Menschen über sexualisierte Gewalt sprechen
Der Grund, warum ich über meine Vergewaltigungserfahrungen gesprochen habe, war, dass jemand anders es getan hatte. Der Brief einer Person, die ihre Erfahrungen von sexualisierter Gewalt veröffentlichte, öffnete mir einen Raum in dem ich über Fragen sprechen konnte, die mich beschäftigten, ohne sie aus dem Nichts selbst aufwerfen zu müssen. Der Brief löste in der linken Szene eine Debatte aus, die mir einen Ausweg aus dem Schweigen und der Isolation bot, in der ich mich selbst gefangen sah. Die offene und unterstützende Positionierung meiner politischen Organisation gegenüber Betroffenen sexualisierter Gewalt und meine Mitbewohner*innen, die antisexistische Bücher zu diesem Thema lasen, gaben mir schließlich das Selbstvertrauen mich zu öffnen und meine Erfahrungen zu teilen.
Schuldzuweisung: in Frage gestellt und zum Schweigen gebracht werden
Die Gründe, warum die Leute meinten, ich solle nicht offen über meine Erfahrungen sprechen, waren vielseitig, aber fast alle waren auf die eine oder andere Weise anschuldigend. Die Leute stellten meine Erfahrungen ebenso in Frage wie meine Absichten meine Erfahrungen zu thematisieren.
Einige meinten, ich sei auf einem persönlichen Rachefeldzug und unfähig, rational zu denken. Einige meinten, sexualisierte Gewalt sei eine Privatangelegenheit und sollte nicht so viel Raum und Zeit in Anspruch nehmen. Andere (oder manchmal dieselben Personen) waren besorgt, dass die Thematisierung den sozialen oder politischen Zusammenhalt zerstören könnte, und wieder andere äußerten Bedenken über die negativen Folgen, die ein offener Brief für den Täter, sein Umfeld und die allgemeine linke Szene sowie für andere Betroffene haben könnte.
Statt der Tatsache, dass mein Ex-Freund mich vergewaltigt hatte, wurde die Tatsache, dass ich die Vergewaltigung thematisierte, zum Problem gemacht und als Bedrohung empfunden. Das ist absurd. All diese verschiedenen Formen der Delegitimierung der einfachen Handlung, einen Brief zu schreiben, ließen mich erkennen, dass die Angst das Schweigen um meine Erfahrungen zu brechen, nicht irrational gewesen war. Ich konnte all die guten Gründe sehen, warum ich es nicht schon früher getan hatte. Die Betonung im offenen Brief Betroffenen dabei zu unterstützen das Wort zu ergreifen, sollte anerkennen, wie schwer dies sein kann und dass ich diese Zeit nicht durchgestanden hätte, wenn ich nicht die Unterstützung gehabt hätte, die ich hatte.
Solidarität braucht Mut und Parteilichkeit
Als wir den Brief fertig geschrieben hatten, waren nur zwei von neun Personen in Birmingham bereit, ihn zu verteilen. Zu diesem Zeitpunkt nahm das Schweigen eine sehr praktische Form an. Einige wollten den Brief nicht verteilen, weil sie keine Zeit dafür fanden, andere, weil sie sich überfordert fühlten.
Doch die meisten Menschen weigerten sich, den Brief auszuhändigen, weil sie mit seinem Inhalt und seiner Verteilung nicht einverstanden waren. Sie stellten klar, dass diejenigen, die den Brief in meinem Namen aushändigen würden, dafür kritisiert und für alle negativen Auswirkungen verantwortlich gemacht werden würden, die dies auf das Wohlergehen einer einzelnen Person oder der gesamten Gruppe haben könnte.
Dieser Druck wirkte zum Schutz des Täters und der Machtstrukturen, die sein Verhalten unterstützt und aufrechterhalten hatten. Bis heute bin ich diesen beiden Menschen und allen, die sich entschlossen haben, ihnen zu helfen und seither Teil des Prozesses zu sein, unendlich dankbar, dass sie den Mut hatten, das durchzuziehen. Und dies trotz der Feindseligkeit, mit der sie konfrontiert waren, und trotz der Unsicherheit, die sie vielleicht selbst empfunden haben. Es war nicht leicht, mich in diesem Prozess und den damit verbundenen Konflikten zu unterstützen. Es erforderte nicht nur viel Zeit und Energie, sondern auch, dass die Menschen ihre eigene soziale Stabilität riskierten, indem sie sich für jemand anderen einsetzten. Das war das stärkste Gefühl der Solidarität, das ich je erlebt habe.
Ein kollektive Aufarbeitungsprozess hängt von der Bereitschaft der Gemeinschaft ab, diese Verantwortung auch zu übernehmen
Ich bin nicht zur Polizei gegangen, weil ich kein Vertrauen in die Justiz hatte einen guten Umgang mit meinen Erfahrungen zu finden und weil ich glaubte, dass eine linke Szene einen Täter sexualisierter Gewalt besser zur Verantwortung ziehen könnte. Ehrlich gesagt, das ist gescheitert, und es ist frustrierend zu wissen, dass er von Menschen umgeben ist, die zwar von dem offenen Brief und den Forderungen an ihn wissen, aber kein Problem darin sehen, dass er weiterhin Politik macht ohnedafür in irgendeiner Art Verantwortung zu übernehmen.
Ich bin jedoch froh, dass wir von Anfang an beschlossen hatten, dass dieser Aufarbeitungsprozess nicht um den Täter, sondern um uns geht. Der Prozess in Birmingham und die Reflexionen, die sie geschrieben haben, haben mir geholfen, meine eigenen Erfahrungen zu validieren und zu kontextualisieren. Dadurch, dass sie meine Erfahrungen als ein politisches Thema und nicht als ein persönliches Problem behandelt habe, hat es nicht nur mir, sondern auch anderen gezeigt, dass sexualisierte Gewalt ernst genommen wird und die Betroffenen Unterstützung erwarten können, statt zum Schweigen gebracht und angezweifelt zu werden. Und trotz der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Täters hat mir der Aufbau einer Kontaktgruppe und das Informieren seiner Umgebung ermöglicht, das falsche Verantwortungsgefühl, das ich bezüglich seiner Handlungen empfunden habe, aufzugeben und mit meinem eigenen Leben weiterzumachen.
Ein schlechtes Gewissen hilft niemandem
Diese Schlussfolgerung liest sich bisher vielleicht so, als ob es gute und schlechte Menschen gibt, und in der Tat, entweder man stellt sich auf die Seite einer betroffenen Person oder nicht. Es gibt kein Dazwischen und keine Neutralität. Aber Menschen machen Fehler, und Menschen können lernen.
Das soll nicht heißen, dass die Betroffenen mit all dem Mist, mit dem sie konfrontiert werden, vergebend sein müssen. Aber an die Menschen, die zu der Hölle beitragen, die die Betroffenen durchmachen: seid nicht zu stolz eure Fehler einzugestehen und tut beim nächsten Mal das Richtige.
Und natürlich gibt es auch Menschen, die einfach nicht wissen, was sie tun sollen. Viele Leute haben mich gemieden, nachdem ich angefangen habe, über meine Erfahrungen zu sprechen, weil sie unsicher waren und/oder ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie mich nicht (genug) unterstützt haben. Das gilt sowohl für Menschen in meiner derzeitigen politischen Organisation als auch für Menschen, die unzählige Stunden in diesen Prozess investiert haben. Und es hat die Situation für mich sehr viel schlimmer gemacht, weil es unangenehm ist, gemieden zu werden, wenn man gerade etwas so Intimes geteilt hat, und es ist anstrengend, immer diejenige zu sein, die auf die Menschen zugeht und ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt.
Ich habe nie viel von den Menschen erwartet, aber die Unsicherheit und die Schuldgefühle, die die Menschen hatten, hinderten sie daran, das zu tun, was für mich damals so wertvoll gewesen wäre: ihre Solidarität auszudrücken. Die wenigen E-Mails, die ich als Antwort auf den offenen Brief erhalten habe, gehören für mich zu den ermutigendsten Momenten in diesem Prozess.
Fazit
Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass dieser Aufarbeitungsprozess mein Leben verändert hat. Ich fühle keine Scham und keine Schuldgefühle mehr, weil ich eine Betroffene sexualisierter Gewalt geworden bin, und durch diesen Prozess habe ich wieder ein Gefühl der Handlungsfähigkeit im Umgang mit dieser Gewalt zurückgewonnen.
Er hat mich befähigt, über das Geheimnis zu sprechen, das mich auf Distanz zu alten und neuen Freund*innen gehalten hat und das eine unbeschreibliche Isolation und Einsamkeit für mich erzeugt hat. Er hat mich auf die reaktionären Kräfte aufmerksam gemacht, die keine Einbildung von betroffenen Personen sind, und hat mich in die Lage versetzt, zu diesem Thema politisch aktiv zu werden.
Die Solidarität, die ich während dieser ganzen Zeit gespürt habe, hat es mir ermöglicht, weiterhin linke Politik zu machen, und hat mir ein Gefühl des Vertrauens und der Hoffnung zurückgegeben, dass dies etwas ist, wofür es sich zu kämpfen lohnt.